Danke zunächst mal für diesen Artikel. Dass eine solche Reihe wie jene von Diaphanes folgen würde, war bei dem doch recht großen Erfolg von ‘The Wire’ und überhaupt der entstandenen Serien-Kultur nur eine Frage der Zeit zu sein, schließlich lässt sich hiermit auch gutes Geld verdienen.
Um eines vorweg zu nehmen: wer sich differenziert mit der Serie ‘The Wire’ befassen will – und nur für diese kann ich sprechen – sollte auf den Sammelband ‘The Wire – Urban Decay and American Television’ von Tiffany Porter und C. Marshall zurückgreifen: http://goo.gl/lLu5V
Dort kommen Sozial- und Geisteswissenschaftler zusammen, um aus einer Multiperspektive die in ‘The Wire’ ja nur angerissenen Themen näher einzuordnen und zu besprechen.
Wie David Simon, der Drehbuchautor, ausführte, sollte es in ‘The Wire’ in erster Linie darum gehen, den Verfall öffentlicher Institutionen zu dokumentieren und in der Folge Handlungszusammenhänge auszumalen, die bei einer nur individuell bzw. subjektorientierten Betrachtung außen vor bleiben müssen. Insoweit kann man die Stadt Baltimore als tragischen Hintergrund für Ergebnisse betrachten, die durchaus verallgemeinerbar sind auf weite Teile der US-amerikanischen Gesellschaft. Wahrscheinlich lässt sich wirklich mit Foucault, aber vor allem Bourdieu die Handlungsmöglichkeiten des Individuums in das jeweilige soziale Feld einpassen. Hingegen scheint mir Luhmann nur in der letzten Staffel wirklich präsent zu sein: wenn es um die Selbstreferenz des Pressewesen geht, das auf der Jagd nach der nächsten Story auch noch so kleine Versucher der Linderung der Drogenproblematik mit dem Hintern wieder einreißt. Hier scheint einfach der Neuigkeitswert einer Nachricht in Geld umgerechnet zu werden und deshalb die Halblegalisierung von Drogenkonsum als ausschlachtbare Story (das passiert schon in Staffel 3, die Funktionslogik der Redaktion hingegen wird erst in der Schlussstaffel ausgeleuchtet). Währenddessen Luhmann aber eine normative Bewertung dieser Vorgänge weder vornehmen wollte, noch mit seiner Medientheorie leisten konnte, verweist Simon spätestens mit der zweiten Staffel auf sozialökononomische Modernisierungsprozesse und einen grundlegenden Strukturwandel der Ostküstenwirtschaft. Während der persönlich Zwist zweier Einwanderergenerationen nur als Oberfläche dient, wird im Hintergrund des Hafengeländes eigentlich in einer ungeahnten Präsenz die Etablierung eines neuen ökonomischen Produktionsmodells sehr gut vorgestellt: die Hafenarbeiter warten von Tag zu Tag auf leer zu räumende Frachter, parallel dazu wird bereits deren Entlassung diskutiert, da eine Automatisierung der Lagerhaltung auch in den USA einhalten soll. Menschliche Arbeit wird demnach auch im Hafen freigesetzt und in etlichen Schlüsselszenen wird die alte Stahlfabrik ins Auge gefasst, in der bis Ende der 1970er Jahre etliche der Männer beschäftigt waren. Es ist diese Form der Arbeit, die identitätsstiftende wirkt – in einer weitere Szene sagt ein Protagonist, der bereits sein Einkommen durch Schmuggel bzw. Hehlerei aufbessern muss zu einem sogenannt “Wigger” (ein weißer Junge im Drogengeschäft mit Gangsterattitude), das er als stolzer Pole niemals ohne Arbeitsvertrag arbeiten würde. Dieser Arbeitsvertrag und die Sicherheit des Normalarbeitsverhältnis ist in der postfordistischen Ökonomie auch Baltimores nicht mehr zu haben, stattdessen hält auch hier die sog. “Globalisierung” Einzug. Nicht nur im Finanzwesen, das Downtown bestimmt, sondern auch im Organisierten Verbrechen, das durch transnationale Kooperationen bestimmt wird. Es geht also hierbei vor allem um eine strukturtheoretische Analyse ökonomischer Prozesse, in deren Folge die Fluidität und das schwindende Vertrauen Anomieprozesse begleiten: zynische Politiker, zynische Hafenarbeiter, zynische Investoren, zynische Polizei. David Simon verzichtet nicht, klar das finanzkapitalistische Produktionsmodell zu kritisieren: dieses Gesellschaftsmodell habe keine Zukunft (http://goo.gl/DMhN6). Und auch die Aktionen der Polizei, die ein Zeitlang noch als Sympathieträger aufgebaut wird, sorgt nach und nach für eine Ernüchterung der Kontingenz des jeweiligen Tuns, denn die einzelne Jagd nach bestimmten Drogenbossen verkommt mehr und mehr auch zu einem Selbstzweck. Es gibt im Grunde nur eine Person, die anfangs noch versucht, einen Brückenschlag zu machen und sich für die Entwicklungsgeschichte eines Jungen aus einem Ghetto zu interessieren. Spätestens mit dessem Tod jedoch, lässt auch dieses Interesse nach und schlägt in Selbstgenügsamkeit um, die obendrein noch durch einerseits menschliche, andererseits hilflose Rettungsversuche des eigenen Egos (Alkoholismus, Sexismus) überbrückt werden sollen. Die Protagonisten in ‘The Wire’ sind insofern “echt” als dass die jene Figuren abbilden, die man leider im Alltag oft genug zu Gesicht bekommt. Ein Ideologiekritiker findet sich im gesammten Setting nicht, was die Serie auch absurd erscheinen ließe. Sie ist ein Sittenporträt einer anomischen und auseinanderdriftenden Gesellschaft, in der Mord und Totschlag Gewöhnungssache sind und in jedem sozialen Feld eigens beurteilt und bearbeitet werden (ob nun für den Gerichtsmediziner oder den Statistiker bei der Polizei, bei der Mutter eines ghettoisierten Kindes oder als Wahlkampfthema für einen Smart Guy-Politiker).
Hat man die gesammte Serie durch, fühlt man sich nicht wirklich besser oder entspannter. Es ist keine wirkliche Unterhaltungsserie, auch wenn sie etliche Merkmale einer solchen aufweist oder auch aufweisen muss, um nicht allein als Dokumentation durchzugehen. ‘The Wire’ dürfte vor allem für ein amerikanisches Publikum “schockierend” sein – was umgekehrt wohl der Grund dafür ist, die Serie über alles zu heben und mit eigenartigen Superlativen auszustatten. Tut man dies, reduziert man ihren Inhalt auf besseres Infotainment, das schnell verblasst, nachdem der DVD-Silberling aus dem Player genommen wurde. ‘The Wire’ könnte eher ein Arbeitsauftrag sein und doch bleibt es Unterhaltung, weil die Realität nicht in Film abgebildet werden kann – allenfalls als Näherungsversuch, ernstgemeinter Versuch, den zynischen und ideologischen Bilderlandschaft des Fernsehens etwas entgegenzusetzen. Und doch: ein jeder wird genau das sehen, was er darin sehen will. So sieht der Soziologe ein solche Serie immer anders, als ein unbefangener Zuschauer. Simon selbst wollte ein größeres Publikum auf das institutionelle Versagen aufmerksam machen. Das ist keine ästhetische Größe und sollte auch m.E. nicht darauf reduziert werden.